Horst berrichtet:

Samstag, 23.10.2004.
Ich sitze nun sechseinhalb Stunden im Flugzeug, 9500 m über dem Meeresspiegel mit 950 km/h. Jetzt habe ich Zeit, bis zum letzten Rundbrief zurück zu blicken.
Es war der ereignisreichste Flug in die Mongolei, den ich bisher erlebt habe.
(Hier mein Flugberricht: http://2017.kinderhilfemongolei.de/?p=269&preview=true)

Es war das schwierigste Jahr, welches wir bis jetzt in der Mongolei durchlebten.
Wir haben Freunde gewonnen, aber auch wieder verloren, da ihre Interessen mit unserer Arbeit nicht übereinstimmten.Der schmerzlichste Einschnitt waren Sereeter und Njamaa.
Sereeter hatte uns jahrelang sehr gut unterstützt, aber weil er der Hauptversorger seines Familienclans ist, suchte er sich eine Möglichkeit um mehr Geld zu verdienen.
Bei Njamaa, unserem mongolischem Baufacharbeiter, nahm das alte Leben wieder überhand. Der Alkohol und der mongolische Stolz ließen es nicht zu, sich wieder einzuordnen. Da wir schon 5 Jahre mit Njamaa zusammenarbeiteten und er sich bewährt hatte, haben wir ihm eine leitende (Macht-) Position in unserer Arbeit gegeben. DIe Position nutze seine Frau aber aus, um unsere Kindermitarbeiter unter Druck zu setzen. Zum Beispiel sagte sie: ,Wenn ihr nicht das macht, was ich sage, schmeißt mein Mann euch raus.“
Dazu kam, dass oft betrunkene Saufkumpanen von Njamaa auf unserem Grundstück herumliefen. Da wir aber gerade das nächste Haus bauten und ich Njamaa bis zur Rohbaufertigung brauchte, haben wir oft viel Ärger runtergeschluckt.
Kurz bevor wir im August wieder nach Deutschland fuhren, entwickelte sich dann scheinbar doch wieder alles zum Guten. Der Schein täuschte aber, denn als ich Anfang Oktober zurück in die Mongolei kam, wurde an so gut wie nichts weiter gearbeitet.Da Njamaa die Arbeit verweigerte, habe ich mich dann innerhalb von drei Tagen von ihm getrennt.

Meine erste Arbeit war es dann, Arbeiter zu organisieren um unsere Häuser winterfest zu bekommen. Ich musste selbst mitarbeiten, da in drei Wochen der Winter einsetzte. Nachts würde die Temperatur bei ca. -15°C liegen.Njamaa hatte darüber hinaus vom Kinderhaus den Schornstein abgerissen, aber nicht wieder aufgebaut.
Mein Hauptanliegen war aber, unsere Arbeit in diesen drei Wochen im Oktober komplett umzustellen.
Wir hatten uns in der Mongolei und Deutschland schon viele Gedanken gemacht, wie es mit unserer Arbeit weitergehen sollte, da wir immer mehr in das Fahrwasser eines mongolischen Waisenhauses rutschten. Das heißt, den Mitarbeitern ging es bloß ums Geld, aber nicht um die Kinder. Das war natürlich weit von unserer Vision entfernt.
Die Kinder sollten eigentlich auf unserem Grundstück in mongolischen Familien aufwachsen, doch durch die staatlichen Auflagen und auf Grund  fehlender Familienmitarbeitern kam diese Vision nicht zustande.

Trotz dieser nicht zufrieden stellenden Umstände; haben sich unsere Kinder sehr gut entwickelt.
Die traurigen und toten Gesichtszüge, so wie auch Geschwüre, die sie aus dem staatlichem Waisenhaus mitgebracht hatten, waren schnell verschwunden. Aus den traurigen kränklichen Kindern sind nun fröhliche gesunde Kinder geworden. Alle haben eine gute Ausstrahlung, was uns natürlich ermutigte weiter zumachen.

Obwohl der Flug im Oktober in die Mongolei chaotisch war und ich 2 Tage später als geplant in Ulaan Bator ankam, kann ich rückblickend nur sagen, dass die verbleibenden 19 Tage sehr intensiv, aber segensreich waren.
Meine Hauptaufgabe bestand darin, zwei Familien für unsere Kinder zu finden.
Die erste fand ich schnell, da Dawaajo und seine Frau Bajrmaa vor einigen Monaten gesagt hatten, dass sie gerne Kinder von uns in ihre Familie aufnehmen wollten.
Die zweite Familie fand ich dann wirklich durch Zufall. Tuuja, unsere Übersetzerin, hatte mitbekommen, dass wir eine Familie suchten und ihren Eltern davon erzählt. Die Eltern meinten dann spontan, sie würden das auch gerne machen. Tuuja zweifelte aber, denn sie war der Meinung, sie wären sicher zu alt für uns. Das hat bei mir sofort gezündet, da ich weiß, Opa und Oma um die fünfzig sind mir lieber als Papa und Mama um die zwanzig.
Dawaajo, seine Frau Bajrmaa und ich sind sofort zu Tuujas Eltern nach Hause gefahren und haben ihre Wohnung und die Eltern kennen gelernt. Die Mutter kannte ich schon, da sie im Frühjahr mal eine Woche bei uns gelebt hatte. Ich hatte sie positiv in Erinnerung behalten. Die Wohnung sagt meistens viel über die Bewohner aus. Obwohl sie im Gerviertel, wo es kein fließendes Wasser gibt, wohnten, war alles sehr ordentlich und gepflegt. Was Kalla sehr erfreute war, dass es dort sogar lebende Pflanzen gab. Der Vater von Tuuja hatte eine fröhliche Art und eine gute Ausstrahlung. Er war früher Leiter von einem großen Lebensmittelkonzern. In der Mongolei wird man schon je nach Job vor dem fünfzigsten Lebensjahr Pensionär.
Dawaajo und Bajrmaa waren auch sofort begeistert von ihnen. Toll war auch noch, dass der Vater sofort unsere ganzen bürokratischen Arbeiten, welche zuvor Sereeter erledigt hatte, in der Stadt übernahm.
Nach 2 Nachtschichten war dann alles Bürokratische aufgearbeitet und geordnet.

Seit dem 20. Oktober leben jetzt 6 Kinder bei Mikhlai und Tseegi und 4 Kinder bei Dawaajo und Bajrmaa, in unseren Häusern. Die Referenzen von unserer neuen Familie waren alle sehr positiv.

Der Kinderalltag sieht nun so aus:
08:00 Uhr: Frühstück in den Familien
09:00-12:00 Uhr: alle Kinder sind zusammen im Kinderhaus
12:00 Uhr gemeinsames Mittagessen (wie früher auch schon)
12:30-15:00 Uhr: Mittagsschlaf oder Spielen in den Familien
15:00-18:00 Uhr: alle Kinder sind zusammen im Kinderhaus
18:00 Uhr: Abendessen in den Familien
und je nach Jahreszeit zwischen 20:00 und 21:00 Uhr gehen die Kinder zu Bett.Die Kinder finden die neue Struktur ganz toll und fühlen sich wohl.
Im Januar 2005 werde ich unsere neue Familienheimarbeit den mongolischen Behörden vorstellen und hoffe, ihren „Segen“ dafür zu bekommen.

Nun zu Mirko und Inche noch ein paar Sätze:
Mirko hat im September mit seinem Fachabitur begonnen, das heißt er macht in der Woche drei Tage Praktikum mit einem Förster vom Forstamt Attendorn, ca. 30 Minuten Fahrt Richtung Süden und hat 2 Tage Schule in Letmathe. Den Führerschein hatte er ja in der Mongolei gemacht, aber er muss aber noch eine deutsche Prüfung machen, um auch hier den Führerschein zu bekommen. Bis jetzt gefällt es Mirko sehr gut.
Inche entwickelt sich nach wie vor sehr gut. Es wird auch immer leichter für sie, die Kulturunterschiede zu verkraften. Schade war, dass ein ihr mündlich zugesagter Kindergartenplatz kurzfristig gestrichen wurde.
So konnten wir uns erst nachdem wir wieder in Deutschland waren, um einen Platz bemühen, sodass sie jetzt auf der Warteliste steht.

Wir wünschen euch eine schöne Adventszeit, ein fröhliches Weihnachtsfest und ein gesegnetes, neues Jahr.
Horst und Kalla Beste