Liebe Freunde und Bekannte,
Im Januar sind wir als Familie wieder in die Mongolei zurückgekehrt. Mit dabei war unser fünfjähriger Enkel Daniel, der uns noch einmal länger besuchen konnte, bevor er im Sommer mit der Schule begann. Daniel hat sich schnell eingelebt und wurde damit das erste Kind in unserem Kinderdorf. Im Juni holte ihn sein Vater, unser ältester Sohn Dominik, wieder nach Deutschland zurück. Ende Juni kam unsere jüngste Tochter Patrice für zwei Monate zu uns. Sie hatte gerade ihre Ausbildung zur Erzieherin erfolgreich abgeschlossen. Mirko hat sich den mongolischen Schulferien angepasst und hatte ab Juni frei. Allerdings suchen wir weiterhin jemanden, der ihm beim Lernen helfen kann, da wir mit unseren Aufgaben stark ausgelastet sind und es uns sehr schwer fällt, noch den Schulunterricht zu gestalten.
Trotz zwei Jahren hier in der Mongolei spüren wir, wie sehr uns die fremde Kultur fordert, auch geistlich. Der vorherrschende Buddhismus und Schamanismus prägen den Alltag vieler Menschen. Ein kleines Beispiel: Unser Bauleiter Njamaa litt seit Ende April unter starken Magenschmerzen, die schließlich nach zahlreichen Untersuchungen als Magengeschwüre diagnostiziert wurden. Verschiedene Erklärungen kursierten zu den Ursachen seiner Beschwerden: Eine davon war, dass Schamanen einen Fluch über ihn ausgesprochen hätten, da er mit Christen zusammenarbeitet. Eine andere Vermutung lautete, dass er nach dem Verzehr von etwas sehr Fettigem direkt etwas Kaltes getrunken habe, was angeblich einen Klumpen in seinem Magen verursacht hätte. Zur Behandlung erhielt er ein Mittel zur Magenreinigung, das jedoch dazu führte, dass er kaum noch das Badezimmer verlassen konnte. Die Schmerzen blieben jedoch unverändert. Das Einzige was ein bisschen half, war unsere Wärmflasche auf seinem Bauch.
Im März begannen wir mit dem Bau eines zweiten Ger-Hauses. Laut eines deutschen Bauexperten, der hier arbeitet, ist das Bauen in der Mongolei nach deutschem Standard genauso teuer wie in Deutschland, da die meisten Materialien eingeführt werden müssen. Während das erste Haus durch einen Bauunternehmer gebaut wurde und rund 100.000 DM kostete, konnten wir durch eigene Planung und Bauleitung die Kosten für das zweite Haus – trotz größerer Fläche und doppelt so viel Material – auf ca. 60.000 DM reduzieren.
Der Start verlief zügig, da viele Dorfbewohner im Winter arbeitslos waren. Zunächst dachten wir, dass das Haus im Juni schon fertig werden würde. Doch im Laufe des Baus kam es zu mehreren Verzögerungen: Ein Todesfall, Wahlveranstaltungen und die typisch entspannte Arbeitsmoral erschwerten den Fortschritt.
Der Todesfall war ein einschneidendes Ereignis: Die Mutter einer unserer Arbeiter verstarb, weshalb die Baustelle für eine ganze Woche stillstand. An einem Montagabend wurden wir gebeten, den Blutdruck der Frau zu messen. Ich, Horst, machte mich auf den Weg zum Ger, wo ich sie bewusstlos an der Tür liegend vorfand. Aufgrund der hohen Temperaturen von +37 bis +39°C und ihrer Symptome vermutete ich entweder einen Schlaganfall oder einen Kreislaufkollaps und entschied, sofort einen Arzt aus der 12 Kilometer entfernten Krankenstation zu holen. Da es jedoch bereits nach 18 Uhr war, war kein Arzt vor Ort, und uns konnte zunächst niemand seine Adresse nennen. Da wir vor einigen Monaten schon einmal bei ihm zu Hause gewesen waren, fanden wir seine Wohnung nach einigem Suchen. Der Arzt begleitete uns sofort, während der Krankenwagen nachkommen sollte. Obwohl der Arzt die Frau behandelte, verstarb sie leider wenige Stunden später. Am nächsten Morgen, um 6 Uhr, wurden wir geweckt, um den Arzt zurück zur Krankenstation zu bringen, da er andere Patienten zu versorgen hatte – der Krankenwagen war nie eingetroffen. Der Sohn der Verstorbenen fuhr daraufhin in die Stadt, um einen Lama (buddhistischen Mönch) zu konsultieren, der den optimalen Beerdigungstag bestimmen sollte. Da Beerdigungen hier nur an Montagen, Mittwochen und Freitagen stattfinden und der Lama Freitag für einen schlechten Tag hielt, wurde die Beerdigung auf den folgenden Montag gelegt. Die Leiche wurde zunächst im leerstehenden Ger aufgebahrt. Wegen der hohen Temperaturen und des beginnenden Verwesungsprozesses brachte man sie jedoch bald in ein Kühlhaus in die 30 Kilometer entfernte Stadt Ulaanbaatar. Am darauffolgenden Montagmorgen, um zwei Uhr nachts, machte sich die Trauergesellschaft auf den Weg, um die Tote aus Ulaanbaatar abzuholen und sie etwa zwei Kilometer von Schaar Hooloi entfernt zu beerdigen, da die Beerdigungszeremonie vor Sonnenaufgang stattfinden musste. Da wir die Verstorbene persönlich kannten, nahmen wir an der Beerdigung teil. Die Trauergesellschaft bat uns, den Lama in unserem Auto mitzunehmen, damit er an jeder Brücke ein Ritual durchführen konnte, bei dem etwas in den Fluss geworfen wird, um den Weg für die Verstorbene freizumachen. Aus Glaubensgründen konnten wir diesen Brauch jedoch nicht unterstützen und stießen erst auf dem Friedhof zu der Gesellschaft. Die Dorfbewohner, die um unseren christlichen Glauben wissen, zeigten dafür Verständnis. Nach der etwa dreistündigen Beerdigungszeremonie kehrten wir zum Haus der Verstorbenen zurück, wo wir an einem traditionellen Festmahl teilnehmen mussten. Im Anschluss erhielt jeder Teilnehmer Geschenke, darunter Trinkschälchen, Zigaretten, Zündhölzer und Seife. Dieser Brauch, großzügige Geschenke zu machen, führt jedoch viele Familien in bittere Armut, da sie, wenn sie die Mittel für ein solches Fest nicht aufbringen können, oft gezwungen sind, ihr Hab und Gut zu verkaufen.
Nachdem dann nach über einer Woche das normale Arbeitsleben wieder anfing, tauchte das nächste Problem auf: die Wahlveranstaltungen für die Parlamentswahlen am 2 Juli. Über 75 Personen wollten „Kanzler“ werden. Es war wie im Kindergarten. Alle paar Tage tauchten selbst hier in Schaar Hooloi Wahlredner auf, mal mit einem Kino, mal mit einen Zirkus, dann mit einer Disko. Selbst einen Arzt, der alle kostenlos untersuchte, schleppten sie hier an. Zu diesen Zeiten ruhte dann natürlich auch die Arbeit… Die Krönung von dem Ganzen war schließlich der Chef vom Straßenverkehrsamt. Er versprach den Leuten den Führerschein, wenn man ihn wählen würde. Drei unserer Leute vergaßen ihre Arbeit komplett, fuhren in die Stadt und begannen mit dem Führerschein. Nach fünf Tagen waren dann die Wahlen, der Chef vom Straßenverkehrsamt wurde nicht gewählt, und so kamen sie ohne Führerschein wieder zurück und arbeiteten weiter. Eigentlich hätte ich diese Leute rausgeworfen, aber da wir jetzt keine Zeit mehr hatten uns neue Leute zu suchen, lassen wir sie nun bis zum Bauende arbeiten. Dann schicken wir sie nach Hause und werden sie nicht, wie letztes Jahr, wieder den Winter über beschäftigen.
Gegen Ende des Sommers bemerken wir, dass bei den meisten Arbeitern die Motivation spürbar nachlässt. Die typisch mongolisch-kommunistische Einstellung „Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen“ tritt deutlich zutage. Besonders herausfordernd ist, dass die Arbeit ständig durch unsere eigene Präsenz begleitet werden muss, da die Vorstellungen der Mongolen von Arbeit oft stark von unseren abweichen. Ein Beispiel: Einer unserer zuverlässigsten Arbeiter blieb plötzlich ohne Ankündigung einen Tag der Arbeit fern. Als wir ihn am nächsten Tag darauf ansprachen, erklärte er, er habe jemandem aus der Stadt den Weg in den Wald zeigen müssen, um Beeren zu sammeln. Glücklicherweise müssen wir diese Fehlzeiten nicht bezahlen, sonst wären unsere Finanzen längst erschöpft. Ein anderer Fall betrifft einen Arbeiter, dem wir eigentlich kündigen wollten. Unglücklicherweise sägte er sich an seinem vorletzten Arbeitstag so tief in den rechten Daumen, dass die obere Partie inzwischen schwarz geworden ist und wohl amputiert werden muss. In solchen Situationen brauchen wir viel Weisheit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Da es für solche Herausforderungen kein Handbuch mit klaren Lösungen gibt, wird uns immer wieder bewusst, wie wichtig unsere Beziehung zum Herrn und das Gebet sind. Natürlich kommen Momente, in denen man sich fragt: „Warum tue ich das überhaupt?“ Doch der Blick auf die notleidenden Kinder gibt uns neue Kraft und erinnert uns an den Sinn und die Dringlichkeit unserer Arbeit.
Abschließend möchten wir berichten, dass das erste mongolische Ehepaar, Gambaat und Zogienbal, beschlossen hat, mit uns zusammenzuarbeiten. Derzeit leben die beiden noch in der Stadt und kümmern sich dort um die rechtlichen Angelegenheiten, da auch hier nicht einfach Kinder von der Straße aufgenommen werden können. Eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden ist notwendig, verbunden mit viel Weisheit, um ein glaubwürdiges und tragfähiges Projekt vorzustellen. Da der Buddhismus weiterhin die vorherrschende Religion ist, stehen wir oft unter dem Verdacht der Behörden, lediglich Menschen zu einem anderen Glauben bekehren zu wollen. Doch unser Ziel ist es nicht, eine Religion aufzuzwingen, sondern in erster Linie den Kindern und Menschen hier Liebe und Unterstützung zu geben. Da dies der Kern des Wesens Gottes ist, sprechen wir auch von Jesus – jedoch nur, wenn dies erwünscht ist.
Häufig fragen uns die Mongolen, warum wir ihnen helfen, obwohl wir weder mit ihnen verwandt sind noch aus ihrem Land stammen. In solchen Gesprächen können wir bezeugen, dass wir uns vor 24 Jahren Jesus zugewandt haben und durch diese Begegnung eine grundlegende Veränderung unseres Herzens erfahren durften. Ohne diese Transformation würden wir unsere Zeit und Ressourcen vermutlich ausschließlich für unsere eigenen Bedürfnisse einsetzen, statt sie den Armen und Waisen in diesem Land zu widmen.
Ein Treffen mit einer hochrangigen Verantwortlichen für Kinder- und Jugendarbeit kurz nach den Wahlen brachte uns wichtige Kontakte. Sie wurde kürzlich ins Parlament gewählt und plant, uns bald vor Ort zu besuchen. Gambaat hatte mit ihrem Mann einmal zusammen gearbeitet und so öffnete sich diese Tür für uns sehr schnell. Wenn dann ein bisschen Ruhe in die neue Regierungsbildung gekommen ist, wird sie mit ihrer Familie zu uns nach Schaar Hooloi kommen. Wir denken, dass wir dann die offizielle Eröffnung des Kinderdorfes vornehmen können, da zu diesem Zeitpunkt auch Knut und Debora Kotzbauer hier sind. Peter Beck musste seine Mongoleireise aus familiären Gründen leider verschieben.
Unser Ziel ist es, das neue Haus bis Mitte September bezugsfertig zu haben.Wir haben jetzt auch zwei Schreiner gefunden, die sich die nächsten Monate mit dem Bau von Türen, Schränken, Kindermöbeln und sonstigen Holzarbeiten beschäftigen. Wir freuen uns darauf bald ein normales Zuhause zu haben, da wir momentan noch viele Dinge provisorisch handhaben.
Trotz der Herausforderungen bleibt die Arbeit ermutigend. Wenn wir die armen Kinder hier sehen, wird uns klar, warum wir das tun: Aus Liebe und Dankbarkeit für die Veränderung, die Jesus in unserem Leben bewirkt hat.
Herzliche Grüße,
Horst, Kalla und Mirko