Liebe Freunde und Bekannte,

wir waren der Meinung, dass wir die restlichen Monate des Jahres etwas ruhiger angehen konnten – da lagen wir aber weit daneben.
Nach dem letzten Brief sah es so aus, dass wir den Bau schnell abschließen würden, um uns dann ganz den neuen Mitarbeitern und eventuell den ersten Kindern zu widmen.
Aber es kam alles ganz anders, wo wir letztlich merkten, das „Jemand“ daran interessiert war, das Ganze hier zu stoppen.

Baumäßig schleppte es sich so dahin.
Njamaa war stundenlang mit dem Trecker auf einer extrem schlechten Wegstrecke unterwegs gewesen. Wahrscheinlich durch die ständige Erschütterung des Körpers, machte sich sein altes Magenproblem wieder bemerkbar und er konnte für einen längeren Zeitraum nicht arbeiten.
Dazu kam noch die Heuzeit und die Bürgermeisterwahl. Wir waren froh, wenn mal ein ganzer Tag durchgearbeitet wurde.
Da der Wintereinbruch normalerweise Mitte September stattfindet, stand der Winter schon vor der Tür und so mussten dringend alle Arbeiten erledigt werden, die bei Frost nicht mehr mögliclh sind.
Den 50 Meter langen und drei Meter tiefen Wasserleitungsgraben zum neuem Haus hoben wir also von Hand aus.
Kurz zuvor war bei einem Sturm unsere 70 qm große Scheune zusammengebrochen, welche dann wieder aufgebaut werden musste.
Bei Arbeiten an der Brunnenpumpe war dann auch noch das Sicherungsseil gerissen und die Pumpe ist im 42 m tiefen Brunnen verschwunden.
Fast eine Woche waren die Arbeiter damit beschäftigt, die Pumpe wieder aus dem Loch zuholen. Leider war sie total kaputt, sodass wir eine neue kaufen mussten. Das war jetzt schon die dritte Pumpe.
Wir haben nun eine chinesische Pumpe gekauft, weil sie viel billiger als eine russische war.

Das nächste Problem war die Dachisolierung unseres ersten Hauses.
Da der mongolische Bauunternehmer im Frühjahr viele, viele Fehler gemacht hatte, hatten wir im Winter einige Probleme mit dem Schwitzwasser. Die Dachbleche lagen direkt auf und das Schwitzwasser frohr bis zu 10 cm dick unter dem Dach fest. Sobald dann die Sonne schien, kam es literweise in die Wohnung zurück, sodass es Nächte gab, wo wir mit Regencape im Bett lagen.
Wir hatten uns darauf verlassen, dass wir die im Frühjahr bestellte Glaswolle bis zum Sommer bekamen, um in Ruhe das Dach neu zu isolieren. Die Glaswolle kam aber nicht, weshalb wir nach viel Fahrerei Anfang September russische Glaswolle nach deutscher Qualität aufgetrieben bekommen haben.
In Deutschland fährt man zum Baumarkt, aber in der Mongolei ist das alles nicht so einfach.
Obwohl wir dann alle, selbst Mirko, auf dem Dach gearbeitet haben, konnten wir es vor dem Wintereinbruch nicht mehr schaffen.
Wir merkten oft, dass das Missionsleben in der Praxis ganz anders aussieht, als wir es uns vorgestellt hatten. Letztendlich sind wir für jede Tätigkeit verantwortlich.

Wir bekommen ab und zu Besuch aus der Stadt, diese Leute fragen dann, ob Horst Bauingenieur sei, da Planung, Statik, Gestaltung, sowie die sanitären und elektrischen Arbeiten von uns selber gemacht werden. Eine ca. 45-jährige Ingeniurin war von unserem Keller total begeistert, sie hatte so etwas noch nie gesehen.
Es ist schon sehr anstrengend den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden.
Einmal bekamen wir Besuch von einer Regierungsbeamtin,die für Kinder und Jugendliche verantwortlich ist. Sie brachte sofort die Beamtin aus dem Rathaus mit, die für die Waisen- und Kinderangelegenheiten der Stadt zuständig ist. Die beiden Damen fanden alles sehr positiv und wünschten eine nähere Zusammenarbeit mit uns.
Am nächsten Tag steht Horst wieder mit den Mongolen auf dem Dach und muss ihnen zeigen wie Dachpappe auf das Dach gebrannt wird.
Am Abend kommt dann die Nachbarin und bittet uns zu ihr zukommen. Ihr zweijähriges Enkelkind schlief schon den ganzen Nachmittag und wollte nicht mehr aufwachen. Nach einigem Nachfragen, Njamaa war nicht da, weshalb Mirko sehr gut übersetzte, stellte sich heraus, dass das kleine Mädchen eine unbekannte Menge Blutdrucktabletten von der Oma gegessen hatte. Da die Kleine sehr entspannt und ruhig atmend schlief, rieten wir der Oma sie bis zum Morgen schlafen zulassen. Sie in die Klinik zufahren wäre zwecklos, da die Ärtzte Nachts nicht anwesend sind. Die Kleine winkte am nächsten Morgen fröhlich zu uns herüber.
Wenn wir in so einem kleinen Dorf wie diesem hier die falsche Entscheidung treffen, können wir sicherlich die Koffer packen.

Kurz darauf bekam der schon sehr abwechslungsreiche Tagesablauf ein dramatisches Bild.
Kalla hatte schon längere Zeit mit immer wiederkehrenden Bauchschmerzen zu kämpfen, sodass nur noch Zwieback und Tee angesagt war. Da wir Mitte Dezember nach Deutschland wollten, hatten wir gehofft, dass es Kalla bis dahin einigermaßen gut geht, sodass sie sich im Dezember dann in Lüdenscheid untersuchen lassen konnte.
Die Nacht vom 23. auf den 24. September nahmen die Schmerzen jedoch dermaßen zu, dass Kalla dachte, ihr Leben wäre zu Ende.
Der Kreislauf brach zusammen, ihre Körpertemperatur war bei 35,2 Grad und sie konnte kaum liegen, sitzen oder stehen.
Am nächsten Tag ging es wieder besser. Wir entschlossen uns aber trotzdem am Montag eine Untersuchung machen zu lassen und fuhren ins russische Krankenhaus, welches laut Aussage eines deutschen Arztes das kleinste Übel sei. Das Labor ist ziemlich modern gewesen und um 14:00 Uhr konnten wir die Laborwerte abholen.
Uns wurde mitgeteilt, dass die Leberwerte besorgnisierregend seien. Mit dem Ergebnis sind wir zur deutschen Botschaft gefahren, wo uns eine angehende Ärztin riet, mit dem nächsten Flugzeug nach Deutschland zu fliegen.
Es war schwierig für uns eine schnelle Entscheidung zu treffen,da die Baustelle im momentanen Zeitpunkt eigentlich nicht alleine gelassen werden konnte. Wir buchten den nächsten Flug, da es uns unmöglich schien Kalla alleine nach Deutschland fliegen zu lassen.

Gambat und seine Frau Boorma jetzt schon nach Schaar Hooloi zu holen hielten wir für eine gute Lösung, um die BAustelle nucht unbeaufsichtigt zu lassen. Mongolen können innerhalb einer Stunde die Entscheidung treffen, ihre Habseligkeiten zusammen packen und umziehen.
Njamaa und Mirko bekamen einen Arbeitsplan für die nächsten drei Wochen, der es ermöglichte immer flexibel, je nach Wetterlage und Minus- oder Plusthemperaturen zu arbeiten.
Die nächsten Tage waren wir damit beschäftigt die Ausreisevisa und Flugkarten zu bekommen. Nachdem ich fast den ganzen Dienstagvormittag am Schalter für Visaangelegenheiten angestanden hatte, machte der Beamte ihn drei Personen vor mir zu, und sagte: „Feierabend, kommen sie morgen wieder“.
Da merkte ich mal wieder, dass die kommunistische Bürokratie in der Mongolei noch nicht ganz abgeschafft worden ist.
Weil es uns um Kallas Leben ging, bin ich hinten herum zum Chef gegangen und hab ihm die Situation geschildert. Da er jedoch erst die Flugtixkets sehen wollte, bin ich dann schnell zu Miat gegangen und habe sie gekauft, sodass ich dann auch unser Ausreisevisa bekam.

Nach neunstündigen Flug landeten wir in Berlin, wo unsere Tochter Patrice uns mit ihrem Freund Christoph mit dem Auto abholten. Normalerweise fahren wir mit dem Zug, da wir aber nicht wussten, wie Kalla den Flug übersteht und wie es ihr dann geht, war es uns so doch sicherer.
In Lüdenscheid stellte sich heraus, dass unser Handeln das einig Richtige war.
Der Zustand von Kalla war so besorgniserregend, dass im Krankenhaus eine schnelle Operation vorbereitet wurde. Nach 14 tägigem Krankenhausaufenthalt kam Kalla nach Hause.
Während unseren letzten gemeinsamen Wochenendes in Deutschland erreichte uns dann die Nachricht, dass sich ein Arbeiter mit unserem Auto zweimal überschlagen hätte und ein Totallschaden entstanden sei. Glücklicherweise wurde keiner ernstlich verletzt.
Allerdings hatten wir nun kein fahrbares Auto mehr und da der Schaden bei mindestens 20.000 DM lag, sahen wir ein großes finanzielles Problem auf uns zukommen.
Wir hatten gerade noch so viel Geld, dass wir den Bau abschließen konnten, um die ersten Kinder aufzunehmen, doch nun brauchten wir das Geld für ein neues Auto.
Da wo wir wohnen braucht man einen Geländewagen und die fangen fahrbereit für einen Europäer bei ca. 11.500 DM an.
Ich flog also mit gemischten Gefühlen zurück in die Mongolei. Flüge sind für uns auch nicht ganz so einfach, da wir immer eine Menge Gepäck für den Bau dabei haben.
Alleine im Handgepäck hatte ich eine 22 kg schwere Brunnenpumpe dabei. Zum Glück hat der Transport des ganzen Gepäcks funktioniert ohne einen Aufpreis zu zahlen. Das einzige Problem was noch zu bewältigen war, war es dem russischem Sicherheitsbeamten in Moskau auf russisch-englisch-deutsch zu erklären, dass die Brunnenpumpe keine Bombe war.

Da Autos für die Mongolen Heiligtümer sind, wartete das ganze Dorf gespannt auf mein Erscheinen und auf meine Reaktion dem Fahrer gegenüber. Bis vor kurzem waren Fahrer höher angesehen, als Ärzte.
Für unsere Nachbarn war klar, dass der Arbeiter, der unser Auto zu Schrott gefahren hatte, jetzt für bis zu drei Jahre ins Gefängnis ginge, da dies die gesetztlichen Strafen dafür wäre.
Hier konnte sofort die wichtigsten Merkmale eines Christen vorleben und zeigen was Vergebung heißt.
An der Situation konnte ich sowieso nichts mehr ändern und keinem hätte es etwas genutzt, wenn der Arbeiter im Gefängnis verschwunden wäre.
Nachdem dieses überstanden war, kam das nächste Erlebnis.
Eine Krankengeschichte, ähnliche kann jeder berichten der sich hier langfristig aufhält. Ich glaube gleich könnt ihr auch verstehen, warum ich mit Kalla nach Deutschland geflogen bin.
Es war kurz nach 19 Uhr und ich hatte mich gerade auf einen ruhigen Abend gefreut als es an unserer Nebentür klopfte. Mirko schaute nach wer da vor der Tür stand und rief mich dann erschrocken zu sich. Als ich zur Tür kam, standen dort Haska und ein anderer mir unbekannter Freund und hatten Dawaajo besinnungslos in der Mitte.
Sie hatten ihn in diesem Zustand schon 5 km mit dem Trecker hierhin gefahren. Ich beschloss, Dawaajo sofort nach Ulaan Batoor ins Krankenhaus zu bringen.
Er lag in der Kabiane, die anderen mußten bei -20°C auf der offenen Ladefläche Platz nehmen.
Im Krankenhaus sagte man uns, ein Verwandter müsse bei Behandlungsbeginn anwesend sein, weshalb wir seine Tante, die 6 Kilometer entfernt wohnt, holten.
WÄhrend wir im Krankenhaus waren wurden uns noch die Außenspiegel geklaut. Das ist so ein Sport hier: Abends werden einem die Spiegel geklaut und am nächsten Tag kann man sie dann am Automarkt zurückkaufen.
Das war dann eine besondere Fahrt: Rechtssteuerung, auf dunkeler Straße mit vielen Löchern, da die Straßenbeleuchtung meist nicht richtig funktioniert und öfters die Gullideckel in der Straße fehlen, und dann keine Spiegel.
Wieder im Krankenhaus sagte das Personal uns, wir müssten Dawaajo ins neue Unfallkrankenaus bringen, weil sie ihn in diesem nicht röntgen könnten. So zogen wir dann weiter.
Im Unfallkrankenhaus angekommen dauerte es „bloß“ eine halbe Stunde, bis sich jemand um Dawaajo kümmerte.
Das Personal stellte jedoch fest, dass die Röntgenfilme alle aufgebraucht waren und Dawaajo bis morgen warten müsse, er aber da bleiben dürfe.
Da kein Bett mehr frei war, hat man ihn einfach in den Flur auf den blanken Fußboden gelegt.

Es ist alles so menschenunwürdig hier und ich glaube, es gibt keine andere Landeshauptstadt der Welt, in welcher solche Zustände herrschen.

Wir sind dann erst noch mal wieder durch die Stadt gefahren und haben Decken besorgt. Da man die Kranken auch mit Nahrung versorgen muß, haben wir auch Essen gekauft und abgeliefert.
In den nächsten Tagen wurde festgestellt, dass Daawajo einen Schädelbasisbruch hatte. Inzwischen ist er wieder wohlauf.

Als ich dann, nachdem wir das Essen im Krankenhaus abgeliefert hatte, um 2 Uhr endlich wieder zu hause war, weckte mich um 5.30 Uhr unsere Heizung. Sie kochte, da die Wasserpumpe kaputt war.
Das hieß: wieder nach Ulaan Batar und eine Pumpe besorgen.
Wir haben öfters diese Probleme, da die Pumpe elektrisch läuft und wir oft Stromausfall haben, und dann für zwei bis drei Tage keinen Strom haben, wodurch die Heizungshitze nicht weg kann.
Zur Zeit behelfen wir uns mit einer Batterie, die wir auf 220 Volt umwandeln können. Da wir aber jetzt zwei Heizungen haben, versuchen wir nächstes Jahr ein Notstromaggregat zu bekommen.

Da der Bau des Hauses nun fast fertig ist, haben wir uns mit der Aufnahme der ersten Kinder beschäftigt.
Zur Zeit gibt es 13 Waisenhäuser mit ca. 500 Kindern und weit über 6.000 Straßenkindern. Viele fragen sich wo  die ganzen Kinder herkommen.
Wir haben einhmal eine elternlosen Familie besucht. Es waren 6 Kinder zwischen 3 und 17 Jahren, dessen Mutter vor 21 Tagen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war und dessen Vater schon seit Jahren verschwunden ist. Wir gehen davon aus, dass dies kein seltenes Schicksal ist. Jetzt muß das Gericht entscheiden, was mit den Kindern passiert.
Das größte Waisenhaus der Stadt ist wie ein Jugendgefängnis, kahle Räume, fast ohne Einrichtung,mit Polizei vor der Tür, sodass keiner ohne Kontrolle raus oder rein kann.
Wir arbeiten auf jedenfall auf Hochturen, sodass in Kürze für erstmal 16 Kinder ein langfristig geborgenes Heim geboten werden kann.
Wir haben inzwischen alle erforderlichen Anträge eingreicht und bewilligt bekommen.

Für Mirko suchen wir nach wie vor eine Lehrkraft, die sich mit der Realschulklasse 8-9 auskennt und ihm den Unterichtsstoff erklären kann. Für manch einem ist es sicherlich ganz interassant hier in der Mongolei für 3 Monate in einer fremden Kultur mitzuarbeiten. Nach wie vor suchen wir noch einen verlässlichen Hausmeister.

Wir hoffen, daß ihr ein schönes Weihnachtsfest hattet und wünschen allen ein gesegnetes, gesundes Jahr 2001.

Lieben Gruß
Horst, Kalla und Mirko